besetzung

Lange war es still um die letzten verbliebenen Reste der Gängeviertel. War das Quartier am Valentinskamp in den 1970er- und 1980er-Jahren noch weitgehend bewohnt, entmietete die städtische Saga seit den 1990er-Jahren immer mehr Wohnungen. In der gleichen Zeit scheiterte ein letzter Versuch, das Quartier zu sanieren. Als einziges Haus wurde die Loge am Valentinskamp, ein Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert, saniert. Das Gängeviertel-Projekt hat in der angemieteten Ladenfläche im Erdgeschoss das Büro der Genossenschaft untergebracht.

Die Entmietung in den 1990er-Jahren führte dazu, dass auf dem gesamten Areal bis zur Besetzung 2009 lediglich fünf Altmietparteien übrig blieben; die restlichen Wohnungen und Werkstätten standen teilweise bereits 15–20 Jahre leer. Das Viertel fiel in einen Dornröschen-Schlaf, auch wenn es immer wieder verschiedene Ideen gab, um das Gebiet zu entwickeln. 2009 wurde das gesamte Areal schließlich an den Investor Hanzevast verkauft, der hier abreißen, modernisieren und neu bauen wollte. Verschiedene Faktoren kamen zusammen, die die Besetzung des Gängeviertels im selben Jahr schließlich möglich und erfolgreich machten. Zum einen war 2009 das Jahr der Finanzkrise; große Bauprojekte und Immobilienspekulantion gerieten in der öffentlichen Meinung vor dem Hintergrund einer zunehmenden Wohnraumknappheit in die Kritik.

Gleichzieitg hatte sich in Hamburg das Recht-auf-Stadt-Netzwerk konstituiert, das die zahlreichen urbanen Konflikte thematisierte und Alternativen zur herrschenden Stadtentwicklung propagierte und in der Praxis erprobte. Verschiedenste Initiativen – wie das Centro Sociale, die Rote Flora, das Frappant in Altona, der Wagenplatz Zomia und auch das Gängeviertel – schlossen sich unter diesem Label zusammen, um gemeinsam handlungsfähig zu werden. Das Netzwerk bildete die politische Basis, die die erfolgreiche Besetzung möglich machte, und seine Ideale bestimmen die Praxis des Viertels bis heute. Im November 2009 veröffentlichten Hunderte Künstler und Kreative das Manifest „Not in our Name, Marke Hamburg!“, um gegen ihre Rolle als kulturelles Feigenblatt einer immer weiter gentrifizierten Stadt zu protestieren.

Im Gängeviertel selbst hatten sich seit Januar 2009 Aktivist*innen und Künstler*innen in der sogenannten Kaschemme getroffen und darüber beratschlagt, wie man die leerstehenden Gebäude und Flächen nutzen könnte. Die Kaschemme war ein Kunstprojekt, das aus der Zwischennutzung einer Galerie in der Puppenstube hervorgegangen war. In der vollständig gekachelten Kellerbar gab es Musik (aber keinen Techno), kaltes Bier und einen fortlaufenden Zähler, der bei 1.000 Besuchern stoppte – danach war die Kaschemme wieder Geschichte und ein anderes Projekt musste her. Das Ergebnis der Treffen der sogenannten Zelle war die Idee eines Hoffestes, das Ende August 2009 ausgerichtet werden sollte. Schon Wochen vorher wiesen rote Punkte auf die Aktion hin. Am Wochenende des 22. August 2009 kamen Tausende Besucher ins Viertel, um sich in den improvisierten Galerieflächen der geöffneten Häuser Kunst, Musik und inhaltliche Veranstaltungen anzusehen, die im Rahmen einer kulturellen Inbesitznahme dargeboten wurden. Überaschenderweise wurde die Besetzung nicht, wie sonst in Hamburg üblich, innerhalb von 24 Stunden geräumt, sondern war auch am folgenden Montag noch da. Kurz darauf begann der Verhandlungsprozess mit der Stadt.

Im Oktober 2009 bezahlte Hanzevast die erste Rate für den Kauf des Viertels. Die Initiative räumte daraufhin die verkauften Häuser Fabrique und Druckerei, um Schadensersatzforderungen des Investors gegenüber der Stadt zu vermeiden. Die überwältigende öffentliche und mediale Unterstützung bewegte die Stadt schließlich dazu, mit dem Investor über einen Rückkauf zu verhandeln, der am 15. Dezember durchgeführt wurde. Seitdem wurde in langen Verhandlungen zwischen Stadt und Initiative versucht, einen gangbaren Weg für die gemeinsame Sanierung und für die Zukunft des Gängeviertels zu finden. Meilensteine auf diesem Weg waren die Unterzeichnung des Integrierten Entwicklungskonzepts (IEK) 2010, die Kooperationsvereinbarung 2011 und die Unterschutzstellung des gesamten Areals im gleichen Jahr. Zwar gab es im Verhältnis zwischen Behörden und Besetzer*innen immer wieder auch Konflikte, aber bis heute hat sich das Viertel in der politischen Auseinandersetzung durch Kreativität und Witz behaupten können. Und das wird hoffentlich auch in Zukunft so bleiben.